Heimatverein Immenstaad

* 24.06.1905 in Esslingen am Neckar  |  † 19.03.1983 in Immenstaad

Selbstbildnis
Max Ehinger (Selbstbildnis, Zeichnung)


Rede zur Eröffnung der Gedächtnisausstellung des Bildhauers und Graphikers Max Ehinger am 23. Juni 1985 im Neuen Schloss Meersburg

von Prof. Emil Nuber, Überlingen

Wir gedenken des Künstlers Max Ehinger, dessen ausgestellte Werke das Gedächtnis in weiter Zukunft wachhalten sollen. Er lebt weiter in seinen Kunstwerken, die das offenbaren, was ihn erfüllte und bewegte.

Die Gedankenverbindungen von Verwandten, Freunden und Bekannten zum Künstler gleichen einem festgeknüpften Netz, das alle über den Tod hinaus umschließt. Viele von uns werden mit mir überzeugt sein, dass unser Freund Max Ehinger diese Feierstunde miterlebt.

Am 24. Juni 1905 wurde Max Ehinger in Esslingen am Neckar geboren, wo er später eine Lehre als Relief-Graveur machte. Es folgte ein 4-jähriges Studium an der Stuttgarter Akademie in der Bildhauer-Klasse Wieland. Ein Studium an der Graphischen Fachschule und Akademie in Wien bei Herbert Böckel beendete seine intensive Ausbildung.

Seit 1945 lebte und arbeitete er in seiner Wahlheimat lmmenstaad als freier Künstler. Nach einem erfüllten, arbeitsamen Leben starb Max Ehinger in lmmenstaad am 19. März 1983 im Alter von 78 Jahren.

Der Künstler Max Ehinger war eine Persönlichkeit, die man nicht so leicht vergessen kann. Er war sehr eigenwillig, redete nicht viel; und wenn er etwas aussprach, so war es nicht selten das, was sein Gesprächspartner nicht hören wollte. Bisweilen eckte er an, da er das sagte, was er dachte. Gerede, Getue und Lobhudelei konnte Ehinger nicht ausstehen. Er hatte ein unfehlbares Gefühl für das Echte, Wahrhaftige und Aufrichtige. Er durchschaute seine Mitmenschen, - man konnte ihm nichts vormachen. Entweder mochte er einen oder nicht, eine Zwischenstufe gab es da nicht.

Nach dem Krieg ging es ihm, wie vielen anderen Künstlern auch, finanziell sehr schlecht, und so nahm er alle möglichen Aufträge an, auch wenn es nicht direkt auf seinem Arbeitsgebiet lag. Mit Werbe-Grafik, die er mit unwahrscheinlicher Akuratesse ausführte, hielt er sich über Wasser.

Als er eines Tages von einem Fabrikanten, für den er schon als freier Graphiker gearbeitet hatte, ein Anstellungsangebot erhielt, das ihn aller finanzieller Sorgen enthoben hätte, lehnte er ab mit der Bemerkung: „Herr X, meine Freiheit können Sie mir nicht bezahlen.“

Obwohl sich der Künstler in seiner Werkstatt am wohlsten fühlte, kapselte er sich keinesfalls von der AußenweIt ab, sondern holte jeden Morgen am Kiosk seine Zeitung. Dieser kleine Abstecher war sozusagen die Kontaktaufnahme mit den Menschen seiner näheren Umgebung, bevor er sich in seine Werkstatt zurückzog. Dort arbeitete er - wie es seine Frau Gerda Ehinger bezeichnet - in Gala-Kleidung. Nur wenn er Gipsabgüsse machte, tauschte er seinen Blaser gegen einen weiß-bestickten, blauen Russenkittel aus.

Gerda Ehinger
Gerda Ehinger (Büste von Max Ehinger)

Ich erinnere mich an einen Ausspruch Max Ehingers anlässlich eines Besuches der Ausstellung des spanischen Malers Manuel Ruiz-Pipo in der städtischen Galerie „Fauler Pelz“, Überlingen: „Endlich mal wieder ein Maler, der das zeichnerische Handwerk beherrscht.“ In diesem Zusammenhang ein Lehrsatz von Max Liebermann, Berlin: „Wo das zeichnerische Handwerk fehlt, fängt der Murks an.“

Obwohl Ehinger auf eigene Ausstellungen wenig Wert legte, besuchte er oft Ausstellungen von Kollegen. Bei den Eröffnungen konnte man ihn nicht übersehen. Der ruhige, besonnene Mann mit der kräftigen, gedrungenen Statur und dem ausdrucksvollen Kopf, der aufrechten, standhaften Haltung fiel einfach auf. Wer ihn nicht kannte, fragte seinen Nachbarn: „Wer ist dieser Herr?“ Sein Äußeres war gekennzeichnet durch den Blazer und der zur langen Schleife gebundenen dunklen Samtkordel, anstelle einer Krawatte. Begegnete man ihm auf der Straße, behütet mit seinem Borsalino, wurde man an einen spanischen Cavalliero erinnert.

Studienreisen führten Ehinger nach England, Holland, Frankreich, Spanien, Jugoslawien, Italien, Österreich, Ungarn, Rumänien und Russland. Bei allen Reisen war ein großer Skizzenblock sein ständiger Begleiter. Während zweier Exkursionen nach Rumänien, die er als langjähriges Mitglied der Gesellschaft der Kunstfreunde Überlingen mit seiner Frau machte, hatten wir Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen. Sobald wir aus dem Bus zu einer Besichtigung ausgestiegen waren, zog er sich, fast unbemerkt, zu einem ihn interessierenden Motiv zurück und zeichnete, in sich versunken, sozusagen zu seiner Entspannung.

Kapelle in Daisendorf
Kapelle in Daisendorf (Zeichnung von Max Ehinger)

Sehr beeindruckt war Ehinger von der aufrichtigen, temperamentvollen, von Wohlstand unbeeinträchtigten Natürlichkeit und der Eigenschaft, sich auch über Kleinigkeiten wie Kinder zu freuen. Seine schöpferische Arbeit, d. h. sein Beruf, war gleichzeitig seine liebste Tätigkeit, sein Lebensinhalt. (Ich vermeide bewusst die heute übliche, abgegriffene Bezeichnung „Hobby“.)

Der berühmte Bildhauer Rodin sagt unter anderem in seinem Testament: „ .. die Menschheit wird erst glücklich sein, wenn alle Menschen Künstlerseelen haben werden, d. h. wenn allen ihre Arbeit Freude macht.“

Der Künstler Max Ehinger war sehr vielseitig; er modellierte, zeichnete, aquarellierte, machte Gravierungen, Kalligraphien, Wappen, Werbegraphik, Dekorationen, Pokale u.s.w. Die Schwerpunkte seiner Werke liegen aber ohne Zweifel im Bereich der Bildhauerei und Graphik. Er modellierte in erster Linien Portraits. Hier hat er verstanden, die Ausstrahlung der Persönlichkeit mit einfließen zu lassen. Das zeigt sich besonders in der Portraitbüste seiner Frau Gerda. Eine solch meisterhafte Schöpfung ist meines Erachtens nur dann möglich, wenn zum Können noch die Kenntnis der Psyche, die seelische Übereinstimmung und Liebe hinzukommt.

Bei dem Relief „Adam und Eva“ zeigt der Künstler die Figuren wie auf einer Drehscheibe. Sie erscheint in der Schauöffnung in wohlüberlegter Handlung: vom heruntergezogenen Zweig den Apfel ergreifend. Er im Abgang, von hinten gesehen mit überraschtem Erstaunen, an der Baum-Drehachse und am Baumgezweig sich haltend. Nicht von ungefähr wurde dieses Reliefwerk für die Einladung ausgewählt. Die Gestalt der Eva erinnert in ihrer Erdenschwere an Werke von Maillol und Lörcher.

In der Graphik arbeitet der Künstler mit Rohrfeder, Kohle, Bleistift, Rötel und mit Mischtechniken. Auffallend ist sein kräftiger, sicherer, lebendiger Strich, der seinen Bildern einen kraftvollen Ausdruck verleiht. Mitentscheidend für seine Liebe zur Schwarz-Weiß-Technik mag auch sein, dass er bewusst die Zahl der Mittel und Techniken beschränkt, um zu einer größeren Ausdruckstiefe zu kommen. Er lässt das Nebensächliche weg und betont das Wesentliche.

Seine Motive sind Bodenseelandschaften und Themen seiner nächsten Umgebung in lmmenstaad, die er immer wieder variiert: Seeufer, Dorfstraßen, historische Bauten und auch Gebirgslandschaften. Auch in der Graphik spielt das Portrait, wie in seiner Plastik, eine große Rolle.

Die Auswahl der Ausstellungsexponate zusammen mit seiner Frau Gerda Ehinger aus dem Nachlass des Künstlers hat mir besondere Freude gemacht. In erster Linie das Durchstöbern der Skizzenblöcke, aus denen ich viele Arbeiten herausgetrennt habe, weil mir gerade die Studienarbeiten seiner Ausbildungszeit, darunter viele Aktzeichnungen z.T. aus ungewöhnlichen Blickwinkeln, für seine spätere Entwicklung besonders wichtig erscheinen. Die Auswahl dieser Bildhauer- und graphischen Arbeiten zeigen das erfüllte Leben unseres Freundes, des Künstlers Max Ehinger, der kein Asket war, sondern das Leben geliebt hat. Befassen Sie sich liebevoll mit den Werken, so wie der Künstler sie liebevoll geschaffen hat.

Zum Abschluss ein Satz aus Rodins Testament: „Liebet andächtig die Meister, die vor Euch waren.“

Michael Heinzler 1979
Michael Heinzler 1979 (Zeichnung von Max Ehinger)

Grab Max Ehinger 2017
Grab Max Ehinger 2020
Grab von Max Ehinger auf dem neuen Friedhof in Immenstaad im Dezember 2017 und Mai 2020

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